Freitag, 4. Januar 2008

Mann bleibt Mann

MANN bleibt Mann auch ohne Kind, von Marie-Luise Schwarz-Schilling
Was nun?

Der männliche Einfluss auf die Kinderzahl wird bis heute öffentlich kaum zur Notiz genommen. Die männlichen Ängste vor dem Verlust von Unabhängigkeit, Spontaneität und Status sitzen - kaum bewusst – unter der individuellen Schädeldecke. Das Klima in der Gesamtgesellschaft verstärkt diese Gefühle. Ratgeber, Zukunftsforscher und Meinungsmacher bleiben bisher auffallend still, auch solche, die sich laut zum Bevölkerungsschwund äußern, wie zum Beispiel Frank Schirrmacher (Das Methusalem-Komplott). Vielleicht überraschen sie uns bald mit Vorschlägen. Ich habe kein Rezept, um mehr Männer zur Lust an eigenen Kindern zu bewegen, sondern nur allgemeine Hinweise. Finanzielle Belohnungen sind immer gut, besonders, wenn sie zielorientiert sind. Die Franzosen machen uns das schon seit langem vor.
Anpassung? – wird sie etwa nur von Männern verlangt? Nein, von Frauen auch. Sie müssen lernen zu entscheiden und das Entschiedene selbst zu verantworten. Entscheiden war sehr lange Männersache! In der Kinderfrage ist Entscheidung für Männer schwieriger, weil sie historische Privilegien aufgeben müssen. Ich halte nichts davon, dies zu verschweigen, aber genauso wenig davon zu resignieren.Mit einer anekdotischen Bemerkung will ich schließen. Ich treffe ab und zu mit Single-Männern zusammen, die eines Tages plötzlich einen Sohn oder eine Tochter aus dem Ärmel zaubern. Nie zuvor war von Kindern die Rede!
Im Alter von 12-16 Jahren tauchen sie im Leben des Singles auf, von fernen Freundinnen oder abgelegten Ehefrauen neugierig auf Vatersuche unterwegs. Sie werden zum Augapfel des Singles. Ein Lump nur denkt hier an eine geniale Strategie, die Windeljahre zu schlabbern. Sagen wir eher: Manchmal kommt das Väterliche später. Besser als nie.

Mann ist Mann – auch ohne Kind

Solange dieses Meinungsklima bleibt und die Erschwernisse der Kinderaufzucht – die wir selbst geschaffen haben – bleiben, wird es in Zukunft weiter viele Männer geben, die den Entschluss zum Kind nicht fassen wollen oder können.
Frauen müssen die Legitimität eines nicht vorhandenen Kinderwunsches mühsam hinterfragen, auch vor sich selbst. Männer nicht. Mann ist Mann auch ohne Kind. Ist das alles biologisch festgeschrieben? Teilweise sicherlich. Aber die Impulse der sozialen Umwelt wirken seit grauer Vorzeit auf die biologischen Grundgerüste und verstärken oder schwächen die Verhaltensneigung: In der Steinzeit wurde ein männlicher Brutpflegeinstinkt nicht gebraucht, im Patriarchat genauso wenig. Erst jetzt, in der Demokratie des 21.Jahrhunderts fordert die Gesellschaft Brutpflegeverhalten plötzlich auch vom Manne.

Raum ohne Volk
Niemand weiß, was eine „natürliche“ Bevölkerungszahl für Deutschland ist. Zur Goethezeit, um 1800 - eine Periode geistiger Blüte – hatte Deutschland (in heutigen Grenzen) 18 Mio Einwohner, um 1900 waren es 43 Mio. (Colin McEvedy and Richard Jones „Atlas of World Population History, London, 1978, S.68) 11)) 1926 kam der Spruch vom „Volk ohne Raum“ auf und wurde von den Nazis in Politik umgemünzt. Heute, zwei Weltkriege weiter, leben in Deutschland 82 Mio Menschen und die Menschenarmut der östlichen und nördlichen Länder macht uns Sorge: Raum ohne Volk? Dies soll zeigen, dass das „zu große“ oder „zu kleine“ einer Bevölkerungsmenge fast immer eine Sache des jeweiligen Wissenstandes und der veröffentlichten Meinung ist.
Mein Anliegen ist nicht die Bevölkerungsdichte in Europa, auch wenn dies der Ausgangspunkt dieser Betrachtung war, sondern die Fähigkeit zur Anpassung. Anpassung oder Wandlung ist ein kreativer Vorgang, der auch verweigert werden kann. Wir erwarten ständig von fremden Leuten, dass sie sich anpassen. Wir müssen uns als Lebewesen immer an neue Umwelten anpassen, als Menschen gerade an solche, die wir selber geschaffen haben, erst das Patriarchat, dann die Demokratie. Solange Männer - ob nun aus Romantik oder anderen Motiven – keine Kinder wollen, werden Frauen selten ein Kind riskieren.

Das “Gedöns“

Kinder sind heute nicht mehr Schicksal sondern Wertentscheidung. Aus der historischen Perspektive betrachtet, war Leben geben schon sehr lange weniger wert als Leben nehmen. Diese fundamentale Wertung ist auch heute noch nicht wirklich auf dem Rückzug. Von daher ist der Geburtenrückgang seit Einführung der Pille eine durchaus logische Reaktion der Bevölkerung.
Männer reagieren beim Kinderwunsch stärker auf gesellschaftliche Leitbilder. Unsere Leitbilder sind heute individuelles Glück, Unabhängigkeit, Mobilität und manchmal Abenteuerlust. Die Gegengewichte: Stabilität, Hege und Pflege haben einen nachgeordneten Rang. Kinder kommen bei den Leitbildern selten vor.
Die westlichen Gesellschaften sind heute im sozialen Klima eher androzentrisch als patriarchalisch. Die „Söhne“ haben das westliche System geschaffen und geben darin den Ton an. Bis heute ist die Meinung verbreitet, dass Frauen weniger können als Männer und deshalb weniger wert sind. Kinderbetreuung – eine überwiegend weibliche Aufgabe – verbleibt damit im sozialen Ansehen auf der Seite der minderwertigen, weil weiblichen Tätigkeiten. „Gedöns“ nannte es Altbundeskanzler Gerhard Schröder.

Weiterentwicklung der Vaterrolle oder:nasse Windeln zerstören Erotik
Die Gesellschaft definiert heute die Kinderaufzucht als Gemein-schaftsaufgabe von Mann und Frau – nicht, weil es biologisch genauso determiniert sei - in der Steinzeit war es anders – sondern weil die frühen Patriarchen die Mann/Frau-Familie entschieden haben und weil wir alle, Männer und Frauen, heute das Leben als Paar (und nicht als Sippe, WG oder Kommune) vorziehen. Die Demokratie braucht das Paar genau so wie früher das Patriarchat.
Die Folgen werden erst seit kurzem klar. Sie bedeuten, dass der Mann als Nicht-Patriarch bei der Kinderaufzucht helfen soll, eine Arbeit, die sozial nur geringen Status einbringt. Das verlangt eine gewaltige Anpassung: Ursula von der Leyen nannte dies die „Weiterentwicklung der Vaterrolle“.
Ihre männlichen Interviewpartner vom „Stern“ reagierten mit Schrecken. Die „Vaterrolle“ rief in ihnen das Bild vom Windelwechseln wach – von schwindender sexueller Beglückung und sinkender Erotik. (www.stern.politik/deutschland /582597.html 08.07.2007) Das Stern- Interview trifft ins Schwarze. Die Reporter reden und denken so, wie viele junge Männer. Sie nennen ihre Haltung „romantisch“.

ein Kind nur dann, wenn…

Fragen wir uns, welche Motive einen Mann heute dazu bewegen können, eine Schwangerschaft der Partnerin zu bejahen.
An erster Stelle steht die Qualität der Partnerschaft, ein uferloses Thema, das ich hier nicht vertiefen kann. Der Mann will sicher sein, dass er in das emotionale Netz von Mutter und Kind einbezogen und nicht ausgegrenzt wird.
  • Der Mann kann den Wunsch haben, sich in einer Familie zu bestätigen, die Restbestände der väterlichen Dominanz auszuloten und die noch immer wichtige Beschützerrolle zu leben. „Ich mach es mal besser als mein Vater oder der Nachbar“.
  • Den kreativen Mann kann es verlocken, sich eine eigene Gruppe zu erschaffen, mit Kindern, die ihn nötig haben, auf die er stolz sein und mit denen er seine eigene Kinderseele ausleben kann. Es wird von einigen Psychologen immer wieder betont, dass für das männliche Gehirn zwischenmenschliche Beziehungen im Vergleich zum weiblichen Gehirn viel weniger Bedeutung haben. Stringente Beweise gibt es hierfür nicht. Für die Jahre der Adoleszenz, die heute bis zum Ende des 29. Lebensjahres gilt, sieht es manchmal so aus. Erwachsene Männer aber haben in der Regel ein ähnliches Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Vertrauen, Austausch und „Heimat“ wie Frauen.
  • Einige Männer erfahren schon heute, welche Belohnung auch die nicht sexuell gefärbte Zuwendung und Zärtlichkeit bereithält. Was bei Frauen über die Körpersäfte angebahnt wird, kann bei Männern durch Erfahrung geweckt werden. Väter, die locker und gekonnt mit kleinen Kindern umgehen und das mit Vergnügen, werden in der Presse gern „neue Männer“ genannt – ein zwiespältiges Prädikat!
  • Kinder strukturieren die Zeit. Kinder haben auch die Funktion, etwas in die Zukunft zu tragen, auch etwas von mir, über den Tod hinaus. Kinder verleihen der Zeit Tiefenschärfe.

Zugegeben, alle diese Motive, sich für ein Kind zu entscheiden, sind „weich“. Ein “harter“ Faktor war dagegen die alte Notwendigkeit, die bis vor einer Generation unser Leben beherrschte: Wenn der Mann Sex wollte, musste er das Kind in Kauf nehmen. Heute fehlt das „Schicksal“, das ihm eine eigene Entscheidung abnimmt.

Kein Gehorsam den Vätern

Kinder sind heute in erster Linie Glücksspender.
Hinter diesem Wort verbergen sich viele Emotionen, Gefühle, Gedanken, Ideale, denen wir gesellschaftlich einen hohen Wert beimessen.
Dieser hohe Wert macht uns scheu, über die „anderen“ Faktoren zu sprechen, die den Kinderwunsch beim Mann senken. Dass Vaterschaft auch Herrschaft bedeutet, war bis vor kurzem ein wichtiger Belohnungsfaktor für den Mann. Davon heute zu sprechen ist „political non correct“. Die sog. 68er Generation hat Herrschaft mit Vehemenz aus dem väterlichen Programm gestrichen. Viele der heutigen potentiellen Väter machen sich inzwischen über die eigene väterliche Autorität keine Illusionen mehr: sie muss verdient werden. Für die Partnerin gilt Ähnliches. Bedingungslose Gefolgschaft kann der Mann von ihr nicht erwarten. Genau dies aber war die versprochene Belohnung bei der Einführung des Patriarchats. Zu dessen Verheißungen gehörte auch, dass der Patriarch bei der Frau immer Vorrang vor dem Kind hat. Heute muss er erleben, dass die Frau seit Geburt eines Kindes weniger Aufmerksamkeit für ihn hat.

zurück in die alte Ordnung?

Es gibt immer wieder Aufrufe, die hier geschilderten Tendenzen aufzuhalten. Von Zeit zu Zeit wird an „alte Werte“ appelliert. Nur: Dies löst nicht die realen Probleme. Wir können weder in die Blutsverwandtschaftsfamilie zurück und Väter von der Verantwortung für Kinder freistellen, noch in patriarchale Ordnungen, die da, wo sie herrschen, die Leute arm machen. Indien und Pakistan sind gute Beispiele dafür, wie sich ursprünglich ähnliche Gesellschaften nach 60 Jahren Teilung mit Demokratie einerseits und Patriarchat andererseits entwickeln. Das Patriarchat entmündigt ja nicht nur die Frauen sondern auch die Söhne, das lähmt die Anpassung an Neues.
Der Mann in westlichen Ländern hat gewaltige Vorteile von der liberalen Gesellschaftsverfassung – deshalb hat er sie geschaffen. Aber seine Neigung zu Kindern wird durch den Verlust einiger wichtiger Privilegien gebremst. Gibt es kulturelle Belohnungen, die diese Nachteile ausgleichen?

Probleme heute

Eltern, Diener der Kinder
Inzwischen ist das Patriarchat im westlichen Teil der Welt sehr gelockert.Die Befreiung der Frau war ebenso eine Befreiung des Mannes, jedenfalls was „die Sünde“ angeht, also den Zugang zum Sex.Der Kinderwunsch des Mannes wird nach wie vor weniger von den Körpersäften, sondern stärker von kulturellen und ökonomischen Motiven geweckt. Familienpolitische und ökonomische Interessen spielen allerdings heute bei vielen Männern eine geringere Rolle als vor einer Generation.Wenn wir den Kopf ein klein wenig zurückdrehen, sagen wir 75 bis 100 Jahre, dann waren Kinder Diener der Eltern und dies von klein an: Mitarbeit in Haus, Feld und der Werkstatt. Kinder waren nützlich. Und heute? Heute sind Eltern Diener der Kinder. Der physische und psychische Aufwand der Kinderaufzucht steigt immer noch weiter.Der „Ertrag“ in Form der Altersversorgung ist inzwischen verstaatlicht - er war durch Jahrtausende ein wichtiges Motiv für Kinder. Hans-Werner Sinn hält diesen Zusammenhang für eine der wichtigsten Ursachen der schwindenden Kinderzahl. (Hans-Werner Sinn, “Ist Deutschland noch zu retten?“, Ullstein, 2005, S.423-428) Diese „rationale“ Motivation für oder gegen Kinder wird politisch gerne unter den Teppich gekehrt.

Was sagt unser kulturelles Erbe?

Vater-sein kam spätWas, so fragen wir, nach diesem Ausflug in die Biologie, sagt unsere kulturelle Tradition zu diesem Thema? Es ist interessant, dass das Vater-sein relativ spät, nämlich erst in der Bronzezeit, eine soziale Bedeutung erhielt.In der Steinzeit war der Mann als Jäger, Bruder, Beschützer und Krieger wichtig, nicht als Vater. Die Familie bestand aus Blutsverwandten, nicht aus Sexpartnern. Der Mann, der seine Freundin aus einer Nachbarsippe schwängerte, hatte keine Verantwortung für das Kind, das daraus entstand.Zuständig war der Mann für die Kinder seiner Schwester, mit ihnen war er verwandt. Diese Familienkonstruktion trennte zwischen Sex einerseits und Aufzucht andererseits und schuf für Kinder ein sehr sicheres Umfeld, sicherer als die spätere Mann/Frau Familie, die von sexuellen Konflikten, Konkubinen, Ehebruch und heute Scheidungen bedroht ist.Eines Tages kam jene gewaltige Umwälzung, die wir die patriarchale Revolution nennen – in Mesopotamien etwa um 3000 v. Chr. Jeder Mann der Oberschicht konnte eine eigene Frau als Eigentum erwerben. Hammurabi von Babylon (1793-1750 v. Chr.) ließ diese Gesetze auf Steinstelen meißeln. Durch den Rechtsakt, die Ehe, wurden jetzt auch die vom Mann gezeugten Kinder sein Eigentum. Von nun an erhielt es Bedeutung, dass er sicher sein konnte, seinen eigenen Beitrag zur Aufzucht nur dem eigenen Samen zu Gute kommen zu lassen. Der Mann hatte jetzt ein dynastisches - und wie wir später sehen werden auch ein ökonomisches - Interesse an Kindern. Er konnte sie lieben oder nicht – in jedem Fall herrschte er über sie.Frauen gerieten bei diesem Umschwung auf die Verliererseite. Das Weibliche wurde minderwertig und im gleichen Atemzug auch der Sex.Die Lust auf sexuelle Abwechslung wurde mit dem Ehe-System nur den Eliten erlaubt (Nebenfrauen, Dienerinnen). Max, der Bauer und Hans, der Tagelöhner hatten selten Gelegenheit für das, was später „die Sünde“ wurde.